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Hüsler, Silvia

Standpunkt: Von Nora miskora bis Ibbe dibbe dab

Kinderlieder und -verse gibt es rund um die Welt

erschienen in: Musik, Spiel und Tanz 2018/03 , Seite 6

So unglaublich verschieden die Sprachen auf der ganzen Welt sind: in allen Sprachen gibt es Kinderlieder und -verse. Wenn ein kleines Kind zum Beispiel durch rhythmisches Wiegen in den Schlaf findet, so wird das überall mit einem beruhigenden Singsang begleitet.

Stellenwert der Erstsprache

Die frühe Erfahrung mit Sprache durch Kinderverse oder Lieder ist ein Schatz, der besonders gehütet werden muss, wenn das Kind in einem anderssprachigen Umfeld aufwächst. Es muss verhindert werden, dass beim Kind die Entwicklung der Muttersprache mit dem Eintritt in die Kita stagniert.
Für Kinder spielt es eine Rolle, wie Erzieher, Erzieherinnen und Lehrpersonen auf die Erstsprachen reagieren: Werden sie Ernst genommen und kommen sie im Alltag auch vor oder werden sie ignoriert („Hier wird deutsch gesprochen“)? Selbstverständlich müssen die Kinder so gut wie nur möglich in der deutschen Sprache gefördert werden. Das schließt aber ein Einbeziehen der Erstsprache nicht aus. Ganz im Gegenteil: Kindern mit einer gut entwickelten Erstsprache fällt es meist leichter, die Zweitsprache zu erwerben.
Wird in der Kita mit einem türkischen Kindervers ausgezählt und mit einem italienischen Vers gezaubert, so ist dies für alle ein Spaß. Das türkische oder italienische Kind wird sich besonders freuen und den Eltern davon erzählen. Eltern werden so an eigene Kinderreime erinnert und dadurch zur familiären Sprachförderung angeregt.
Die Sprache der Mutter oder des Vaters hat für jeden Menschen einen besonderen Stellenwert. Für das kleine Kind bedeutet diese Sprache Sicherheit, Befriedigung, Beruhigung, Kontakt und Unterhaltung. Die uneingeschränkte Zuwendung, die das Kind verbunden mit Sprache erfährt, prägt diese besondere Beziehung zur Erstsprache. Sie wird zu einem Teil der Identität eines jeden Menschen und bleibt dies für das ganze Leben, auch dann, wenn später andere Sprachen im Zentrum stehen.
Als Fachfrau für interkulturelle Pädagogik ist für mich die Erkenntnis dieser Zusammenhänge meine Motivation, um Kinderverse und -lieder in den verschiedensten Sprachen zu sammeln und zu publizieren. Damit will ich ermöglichen, dass die Erstsprachen der Kinder in Kindergärten, Kitas, Schulen und Musikgruppen einen Platz finden, akzeptiert und wertgeschätzt werden.

Kinderverse und -lieder in aller Welt

Beim Sammeln staune ich immer wieder, wie ähnlich sich die Kinderreime aus den verschiedensten Weltgegenden sind. Viele Verse sind von Kultur zu Kultur gewandert und werden auf ähnliche Weise gespielt: Bei Ringel, Ringel, Reihe z. B. fassen sich die Kinder an den Händen, gehen im Kreis herum und am Schluss kauern sie mit „husch, husch, husch“ auf den Boden. Das fast gleiche Singspiel gibt es in Kroatien und Serbien, im Kosovo und in Italien; aber auch in Usbekistan konnte ich Kinder beobachten, die sich zu einem ähnlichen Singsang drehten und am Schluss auf den Boden purzelten.

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