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Wirmer, Hannah

Standpunkt: Wozu Geschichte?

Was historische Forschung mit heutigem Unterricht zu tun haben kann

erschienen in: Musik, Spiel und Tanz 2021/03 , Seite 6

Was haben MusikerzieherInnen im alltäglichen Umgang mit Kindern mit musikpädagogischer Geschichte zu tun? Zunächst einmal nicht viel, könnte man meinen. Doch dabei täuscht man sich leicht. Schließlich haben alle Handlungen eine Geschichte, so auch das Handeln im Musikunterricht. Sich die Geschichte dieses Handelns bewusst zu machen, kann helfen, sie kritisch zu hinterfragen und Alternativen denkbar werden zu lassen. Das ist das Ziel historischer Forschung.

Wird mit Kindern im elementaren Musikunterricht gearbeitet, führen vermutlich Bücher zur Geschichte der Musikerziehung bei vielen nicht die Literaturliste an. Themen wie diese waren vielleicht im Studium oder in der Ausbildung zuletzt relevant, als historische Unterrichtskonzepte besprochen, bekannte PädagogInnenvorgestellt und die Entwicklung hin zur heutigen Unterrichtspraxis nachvollzogen wurden. Weil historische Literatur als Ratgeber für die tägliche Unterrichtsgestaltung kaum weiterhilft, werden lieber Praxisbeispiele, Methodenbücher oder auch lernpsychologische Erkenntnisse gelesen. Denn sie haben eine vermeintlich direktere Relevanz für den täglich abgehaltenen Unterricht und lassen sich, wenn gut gemacht, leicht auf das eigene Unterrichtsgeschehen übertragen. Ich möchte dennoch dafür argumentieren, dass die Beschäftigung mit der Geschichte von Musikunterricht eine grundsätzliche Bedeutung für unser tägliches Handeln im Berufsalltag haben kann.

Alles Handeln hat eine Geschichte

Als Beispiel möchte ich die wohlbegründete Vermutung heranziehen, dass mit wenigen Ausnahmen jede elementare Musikstunde mit Kindern mit einem Begrüßungsritual beginnt. Darüber hinaus scheint es sehr verbreitet zu sein, dass in dem anschließenden Unterricht häufig Lieder szenisch interpretiert werden oder Klanggeschichten auf Orff-Instrumenten improvisiert werden – um typische Beispiele neben vielen anderen Unterrichtsinhalten zu nennen. Nun ist es sicherlich irrig zu glauben, dass jede einzelne Lehrkraft sich zu Beginn ihrer Unterrichtstätigkeit unabhängig von anderen überlegt hat, ihre Stunden immer mit einem Begrüßungsritual zu beginnen, Lieder szenisch oder gestisch zu gestalten und Geschichten zu vertonen. Vielmehr tun Lehrkräfte dies, weil es an Musikhochschulen gelehrt, in Methodenbüchern oder Fachzeitschriften empfohlen oder unter KollegInnen weitergegeben wird. Der Ursprung dieser Unterrichtsgestaltung liegt somit nicht in der Gegenwart, sondern in der Vergangenheit. Unser Handeln hat also eine Geschichte. Wir tun, denken oder sagen Dinge in den meisten Fällen nicht, weil sie uns als erster oder erstem eingefallen sind, sondern weil sie schon viele Menschen vor uns getan, gedacht oder gesagt haben.

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