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Steinmann, Brigitte

Standpunkt: Wieso, weshalb, warum?

Neugier als Triebfeder der Entwicklung

erschienen in: Musik, Spiel und Tanz 2020/04 , Seite 6

Der Titelsong der Sesamstraße ermuntert Kinder zum Neugierig-Sein: „Der, die, das. Wer, wie, was? Wieso, weshalb, warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm.“ Und er erklärt in der Folgezeile: „Tausend tolle Sachen, die gibt es überall zu sehn. Manchmal muss man fragen, um sie zu verstehn.“ Um das Neugierig-Sein soll es im Folgenden gehen, aber auch um das eng damit verbundene Tätig-Sein und das Kommunizieren. Wenn wir ein Geschehen nicht nur hinnehmen, sondern es hinterfragen, sind wir neugierig. Für jedes Kind und jeden Erwachsenen ist die Aneignung der Welt ein aktiver Prozess des Wahrnehmens, Experimentierens und Reflektierens. Nicht immer ist dieser innere Vorgang für Außenstehende unmittelbar sichtbar. Bewegungen, Berührungen, Töne, Farben und Formen geben jedoch Auskunft über die individuelle Situation. Darüber hinaus lernt der Mensch, diese Vorgänge und die gespeicherten Erfahrungen sprachlich zu erfassen und darüber zu kommunizieren.

Philosophie

Mit Neugier als urmenschliche, positive Eigenschaft ist hier nicht die Gier nach Sensationen gemeint, sondern die sogenannte epistemische Neugier. Sie ist eine Emotion und ein spezielles Merkmal der Persönlichkeit. Sie bezeichnet den Wissensdurst, die Lust Neues zu erfahren und zu entdecken, den Spaß am Tüfteln, die Suche nach neuen Zusammenhängen und Wissensinhalten – letztendlich die Freude am Lernen.

Sokrates (469-399 v. Chr.), der Philosoph der griechischen Antike, soll gesagt haben: „Ich weiß, dass ich nicht weiß“ – was oft fälschlicherweise mit „dass ich nichts weiß“ zitiert wird. Damit ist eine Grundhaltung erfasst, nämlich die Offenheit gegenüber der Zukunftdem Möglichen, dem „Noch-nicht“ (Hans Aebli). In der Erziehung wird damit dem Kind jedwede posi tive Entwicklung zugetraut, dem Studierenden und allen Forschenden jedwede neue Erkenntnis zugestanden.

Die große Denkerin des 20. Jahrhunderts Hannah Arendt (1906-1975) hat das sokratische Lehren und Lernen für das politische Denken ausgelegt. Ihr Ansatz ist aktueller denn je, denn sie geht davon aus, dass sich die Welt jedem Menschen, je nach seiner Stellung in ihr, anders eröffnet und sich erst durch den Dialog eine Gemeinschaft entwickeln kann. Darum fordert sie dazu auf, die Dinge vermehrt gemeinsam zu durchdenken und im Dialog die Gemeinsamkeiten zu suchen. Im Austausch, im Gespräch unter gleichwertigen Partnern mit unterschiedlichen Ansichten von Welt, entstehe das Verständnis für die Meinung des anderen. Daraus entspringe das Gemeinsame im politischen Wirken und Verstehen.

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